Ich konnte heute Nacht nicht schlafen. Die vierte Nacht in Folge, trotz meines kleinen Freundes Dominal. Und ich weiß auch ganz genau, warum. Heute ist der letzte Kontrolltermin dieses Jahres für den angeborenen Herzfehler meiner Tochter. Und dieses Ereignis macht mich immer ein bisschen nervös. Warum? Wegen des Vier-Jahres-Fluchs.
Ja, so etwas gibt es im Hause Kron und Stein (meine Holtzi hat einen anderen Nachnamen als ich, ich Rabenmutter habe nach der Scheidung meinen Mädchennamen wieder angenommen). Um euch zu erklären, was das überhaupt ist und wie es zu diesem Fluch kam, muss ich etwas zurück in der Zeit. Und zwar ins Jahr 2003. Da wurde ich schwanger. Auf den Tag genau an meinem 25. Geburtstag wurde die festgestellte Schwangerschaft in meinen Mutterpass eingetragen. Das beste Geschenk der Welt!
Da stimmt doch irgendetwas nicht
Herr Stein und Frau Kron bekommen also ein Kind – und sind absolut und überglücklich. Doch die anfängliche Euphorie wird schnell getrübt. Beim Herz-Hirn-Screening in der 22. Schwangerschaftswoche fällt dem Doc auf, dass irgendetwas an KleinSteins Herz nicht stimmt. „Sieht nach einem Herzfehler aus“, sagt er. „Oh, ich glaube, ich habe zu Hause vergessen, den Ofen abzuschalten“, sage ich und kümmere mich geistesabwesend um meinen abgebrochenen Fingernagel. Während mein Hirn noch versucht, das eben Gehörte zu verarbeiten, macht der Doc schon für zwei Tage später einen Termin in einer Pränataldiagnostik-Klinik in Düsseldorf für mich klar – zur genaueren Bestimmung. Ich bedanke mich freundlich für das Gespräch und verlasse die Praxis Richtung Auto. Ich setze mich hinein und starre in die trübe Novemberluft. Was hat der Typ gesagt? Mein Kind hat einen Herzfehler??? Ich fange an zu weinen. Und weine die gesamte Strecke, bis ich zu Hause angekommen bin. Was bedeutet das? Wird mein Baby im meinem Bauch sterben? Oder während der Geburt? Vielleicht direkt danach? Wird. mein Baby. sterben? Diese Frage, habe ich mir im weiteren Verlauf der Geschichte – im weiteren Verlauf unseres Lebens – immer wieder gestellt. Vor allem zu Beginn ihres Lebens – und dann alle vier Jahre wieder. Manchmal tue ich es immer noch. In den schwachen Momenten, in denen ich es nicht schaffe, die Angst und die Sorge – die einen sonst im Alltag ja in den Wahnsinn treiben würden – beiseite zu schaffen.
Die Bestätigung und das Mädchen
Nach dem Termin in der Pränataldiagnostik-Klinik war klar: KleinStein hat tatsächlich einen Herzfehler. Nach einer nervenzerreißenden Nacht des Wartens nach der Fruchtwasseruntersuchung (eine hohe Prozentzahl an Kindern mit Holtzis Herzfehler haben zusätzlich das Down-Syndrom) standen dann zwei Dinge fest: Keine Trisomie21 UND – was viel wichtiger für mich war – KleinStein ist ein Mädchen. Puh. Noch mal Glück im Unglück. Wenigstens etwas. Ich hab ja immer gesagt: „Egal ob Junge oder Mädchen, Hauptsache gesund.“ Aber mal ehrlich: Jetzt wo KleinStein sowieso chronisch krank zur Welt käme, konnte ich doch auch sagen, dass ich viel lieber ein Görl wollte – oder etwa nicht?!
Operation eins…
Wie dem auch sei, das wunderschöne Stein-Mädchen ( im Folgenden Holtzi genannt) wurde im Februar 2004 geboren und wir verbrachten die ersten sechs Monate ihres Lebens praktisch durchgehend im Krankenhaus, im Herzzentrum Duisburg, das wir uns zuvor nach reiflicher Überlegung als kinderkardiologische Spezialklinik ausgesucht hatten. Holtzi war zu schwach, um selbst zu trinken, sie musste mit einer Magensonde ernährt werden. Sie bekam keine Luft, lag überstreckt und kurzatmig, verschwitzt und schlapp in ihrem minikleinen Bettchen, an dem ich Tag und Nacht wachte. Und dann kam der Tag, an dem wir es nicht weiter hinauszögern konnten. Der Tag ihrer ersten Operation am offenen Herzen. Sie war da drei Monate alt. Ich war ein Wrack. Wir alle. Die gesamten Familien Kron und Stein. Kurz vorher war ein kleines Mädchen, dass neben Holtzi im Kleichen Krankenzimmer lag, an der selben OP gestorben. Aber wir wussten auch: Unsere Puppe ist stark. Wir alle sahen es in ihren Augen, wenn wir mit ihr spielten, sangen, lachten, kuschelten und redeten. Sie WOLLTE leben.
…zwei und drei
Und so war es auch. Sie überstand die Operation und ihre Genesung und Erholung hätte besser nicht laufen können. Holtzi war und ist nicht entwicklungsverzögert, mittlerweile wohlgenährt und wuchs zu einem quietschfidelen Kleinkind heran. Natürlich vergisst man die Krankheit seiner Tochter nicht einen Augenblick – bis heute nicht – aber man lernt, damit zu leben. So wähnten wir uns also in Sicherheit, bis sich ihr Zustand Ende 2008 deutlich verschlechterte. Wir wussten, dass es dazu kommen kann, aber wenn der Arzt sagt: „Wir müssen operieren“ ist es doch ein Schlag ins Gesicht. Und so musste die Puppi mit ihren zarten vier Jahren ihre zweite Operation am offenen Herzen über sich ergehen lassen. Wieder Herz-Lungen-Maschine. Wieder das Bangen: Geht alles gut? Ja, ging es. Alles wie gehabt, Kind erholt sich schnell, isst viel, wird frech und immer größer. Bis sich dann – ihr ahnt, worauf es hinausläuft – bei der letzten, halbjährlichen Kontrolluntersuchung im Herzzentrum Ende des Jahres 2012 heraus stellte: Ihre Werte haben sich deutlich verschlechtert. Es folgte die dritte OP am offenen Herzen. Da war Holtzi acht Jahre alt. Ihr seht schon, die Beziehung zu Puppis Kardiologen ist die längste, die ich je zu einem Mann hatte.
Jetzt ist KleinStein 12, gar nicht mehr klein, ein wunderschöner Teenager, mir größenmäßig längst über den Kopf gewachsen. Und die vier Jahre sind um. Ihr geht es gut, es gibt derzeit (toitoitoi) kein einziges Zeichen einer Herzinsuffizienz. Nervös sind wir trotzdem. Aber egal was kommen mag: Die Vergangenheit hat gezeigt: Holtzi ist eine große Kämpferin und zusammen können wir alles schaffen.
Edit: Untersuchungsergebnisse
Also: Holtz ist 1,64 Meter groß und somit offiziell 4 Zentimeter größer als ich. Aber jetzt zu den wirklich wichtigen Dingen. Es ist alles in allerbester Ordnung. Ihre Werte sind vorbildlich und haben sich seit der letzten OP vor vier Jahren nicht wirklich verändert. Die Defekte, die sie jetzt noch immer hat fallen derzeit nicht ins Gewicht – die am am Herzen übrigens auch nicht – und der nächste Kontrolltermin ist in…ACHTUNG….*drumroll*….EINEM JAHR. Das ist das erste Mal seit 13 Jahren, dass wir so lange nicht nach Duisburg ins Krankenhaus müssen. Ich weine Freudentränen und mir scheint die Sonne aus dem Arsch! Und danke Mami für den BigMäc. Den hatte ich gerade dringend nötig!