Elternabend, erquickend und labend. Nicht.

Muddi war gestern Streber und hat bei der Elterninformationsveranstaltung zum Thema Berufsorientierung in Holtzys Schule in der ersten Reihe gesessen. Und dass, obwohl ich solche Veranstaltungen hasse. Nicht wegen der Inhalte, nein, nein, die sind wichtig und interessant und informativ (obwohl es in meinem Kopf für die Berufsorientierung meines Babys eigentlich noch VIEL. ZU. FRÜH! ist). Nein, es gibt einen viel profaneren Grund für mich, derartige Zusammenkünfte innerlich abzulehnen. Es ist wegen der Menschen.

Da treffe ich Leute, die ich unter normalen Umständen niemals zu treffen gedächte. Es fängt an bei diesen Heli-Müttern, die alles besser können und wissen als ich und sowieso grundsätzlich besser sind als meine Wenigkeit, allein schon, weil sie nicht tätowiert sind und keine grüne Haare tragen (welche Farbe die auf ihren Zähnen haben, vermag ich allerdings nicht zu sagen). Dann gibt es da noch die Exfreundin meines Exmannes, die auch mal meine Freundin war, dann aber meinen Exmann und meine Tochter am Tag des geplanten Zusammenzuges ohne Bleibe und (fast) ohne Möbel (mein Ex hatte seine größtenteils verkauft) hat auf der Straße stehen lassen. (Diesbezügliche Gewaltphantasien ihr gegenüber mögen an dieser Stelle nicht im Detail ausgeführt, dennoch zumindest am Rande erwähnt werden.). Außerdem ist da die Mutter von Holtzys Klassenkameradin, die ich seit der Krabbelgruppe kenne (Holtzys. Nicht meiner!). Ich hatte eigentlich immer ein super Verhältnis zu ihr, doch eines Tages forderte sie per schriftlichem Erlass die Klassenlehrerin auf, ihre Tochter doch bitte nicht mehr neben meiner sitzen zu lassen. Bis heute hat mir meine ehemalige Krabbel-Mom-Kollegin nicht erklärt, warum. Nunja. Vielleicht ist meine Tochter der Anti-Christ und ich hab’s nicht gemerkt? Man weiß es nicht.

Dann: Auftritt Lehrerschaft. Wir wurden von der Schulleiterin – optisch der Typ Janis Joplin in alt und spießig, gekleidet in Merkel-Klamotten von einem Billig-Discounter und selbstverständlich ungeschminkt – freundlich begrüßt. Daraufhin wurden uns ohne Umschweifes die neuen Kooperationspartner der Schule in Sachen Berufsfindung vorgestellt: Der Chef des Krankenhauses in unserer Hood, eine Bibliothekarin, der Inhaber eines großen Einzelhandels-Dings sowie einer, der irgendwas mit Zerspannungsmechanik zu tun hat. Der Krankenhaustyp im Anzug erklärt, dass sich die Kids fortan nicht nur für Praktikumsstellen bewerben können, sondern seine medizinische Einrichtungsstätte auch mit Info-Events den Schulalltag bereichern wird. Vorträge über Drogen zum Beispiel. Und noch während er sagte „…oder über gesunde Ernährung…“ , nickte auch schon die leicht adipöse Mittelstufenkoordinatorin – die ich vorher versehentlich aufgrund ihrer Kleidung und ihres Gebarens für die örtliche Gemeindepastorin hielt – in vehement-selbstverständlicher Zustimmung ob dieses überaus wichtigen Themas. Ich kaute an meinen grünen Haaren, um nicht laut los zu lachen.

Zudem machte ich mir kräftig Notizen – denn wie schon eingangs gesagt, wollte ich ja ein bisschen herumstrebern. Ich stellte sogar dem Berufseinstiegsberater (!) eine Frage. Das war der Moment, in dem ich selbst meiner Tochter peinlich war („Orrrr, Mimi! Echt jetzt? MUSS das sein?“) Klar. Ich will ja mit gutem Beispiel voran gehen und zeigen, dass schulisches Engagement viel besser ist, als sein Ruf unter Teenagern. Und was macht der Rest der Lemminge, wenn einer eine Frage stellt. Röchtöch: Den Sprecher anstarren. Die Blicke von herkömmlichen Standard-Eltern, wenn sie meiner gewahr werden, sind unbezahlbar. Ich denke, für den nächsten Elternabend lasse ich mir ein Shirt drucken, auf dem steht: „Tätowiert und kultiviert“. Oder „Ja, ich habe einen Job.“ Ich setzte mich noch ein Stückchen gerader hin, um meine beeindruckende Körpergröße von 1,60 Metern voll auszuspielen und lächelte in die Menge. Kill them with kindness. Die meisten wirkten verwundert bis verstört, dass ich sympatisch lächeln und zwei zusammenhängende Sätze geradeaus sprechen kann.

Zusammenfassend kann ich sagen: Ich habe mich nicht aus Verzweiflung in irgendein Amt wählen lassen, meiner Tochter steht in Kürze eine Potentialanalyse ins Haus, das örtliche Knappschaftskrankenhaus berät die korpulente Koordinatorin zum Thema gesunder Ernährung und die Lehrer haben nach all den Jahrzehnten noch immer nicht gelernt, sich ordentlich anzuziehen.

Und nur so am Rande: „Adipös“ und „korpulent“ sind keineswegs Hinweise auf Bodyshaming innerhalb meines Blogs. Sie dienen schlicht und ergreifend als eine Tatsachenbeschreibung.

5 Kommentare zu „Elternabend, erquickend und labend. Nicht.

  1. Hallo liebe Mimi,
    vielen Dank für deine Zeile – ich schmeiß mich immer noch weg!
    Ich bin selbstständige Berufsberaterin und ich wünschte es gäbe mehr Eltern deiner Sorte, als die die du hier beschreibst! Aber so ist das nunmal und auch ich falle unter der Lehrerschaft auf,.. um es mit den Worten eines Schülers zu sagen: „Frau Schiffgens, SIE sind aber KEINE Lehrerin!!“
    Genau, ich sehe nicht so aus und ich gehe mit jungen Erwachsenen anders um. Vielleicht habe ich deshalb ein
    ruhiges, effizientes Workshop Klima mit meinen Kids.. man weiß es nicht.
    Aber bevor ich abschweife: vielen Dank für den Elternabendeinblick! Großes Kino!

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    1. Hey Bianca, und ich danke dir für deine lieben Worte. Ich freue mich sehr, dass dir mein Text gefällt. Und ja, ich sehe das auch so: Wenn man etwas offener mit den Kids umgeht, dann sind sie auch viel mehr bereit, selbst etwas zu investieren. Vielleicht melde ich mich dann mal bei dir, wenn es bei Holtzy so weit ist. 😂

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  2. Liebe Mimi, sehr schön! Ein so passender Text! Auch ich kenne diese Blicke und das kleine Eingeständnis, wenn sie merken, dass auch ich das Leben meines Kindes “ernst“ nehme!
    Als ich vor ca. 14 Jahren einen Baby-Massage-Kurs gebucht hatte, weil unser Jonas an “Drei-Monats-Koliken“ litt, war ich von zehn geplanten und bereits bezahlten Malen tatsächlich einmal dabei! Nachdem ich all diese Öko-Heli-Übermuttis in einer der bekannten und durchaus intellektuellen Begrüßungsrunden kennen gelernt hatte, brauchte ich keine zweite Begegnung! Denn Blicken zufolge wollten auch sie keine Weitere!
    Was ich sagen will ist: toll geschrieben, mir aus dem Herzen gesprochen! DANKE! ❤

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